Wohnhaus B27 Gießen

Fertigstellung: 2013
Leistungsumfang: LPH 1-9

Bauherr: Privat
BGF/BRI: 825 m² / 2.545 m³

Errichtet 1881 von dem Malermeister Philipp Hohmeier im italienischen Palazzo-Stil ist dieses heute als Einzel-Denkmal anerkannte Gebäude ein spätes Zeugnis der Gründerzeit. Auch Philipp Hohmeier gehörte zu der aufstrebenden Handwerkerschicht, die mit dem großen Bau-Boom ab 1871, also nach der Gründung des Deutschen Reiches, zu einem gewissen Wohlstand kamen. Etwas später, nämlich 1898, wurde im Hinterhof ein Werkstatt-Gebäude auch mit Wohnungen für die Angestellten errichtet. Ursprünglich befand sich im Hof links zudem noch ein Geräteschuppen.
Das Anwesen wurde an Wilhelm Hohmeier vererbt, der war im 1. Weltkrieg Koch zur See und danach Kriminalpolizist. 1975 trat Günter Hohmeier die Nachfolge an, gelernter Schreiner und Orgelbauer.
1985 wurde das Anwesen dann schließlich an Dieter Hohmeier übertragen. Die anfänglich wohlhabenden Umstände erlaubten eine auch für damalige Verhältnisse hochwertige Fassadengestaltung. Aber auch innen fanden sich unter vielen Schichten von Tapeten in fast allen Räumen aufwändige Wand- und Deckenbemalungen. Am Ende des zweiten Weltkrieges fiel in den Hof des Anwesens eine Fliegerbombe, die auf der Hinterseite des Vorderhauses zwei von unten nach oben durchlaufende große Risse hinterließ.
Die mangelnden Mittel vor allem der Nachkriegsjahre waren insofern ein Glücksumstand, als dass sämtliche originalen Einbauten und Baumaterialien bis heute überlebt haben. 2010 haben die heutigen Eigentümer das Anwesen erworben. Den wahren Wert der Substanz erkennend, sollte die absolut notwendige Kernsanierung hier nicht so stattfinden wie leider bei vielen anderen Denkmal-Sanierungen, die denkmalschutzrechtliche Anforderungen nur als Last begriffen haben.
Was die beiden Bauherrn bis hierher noch nicht wussten, war unser doch sehr unkonventionelle Ansatz alle Oberflächen in ihrer Form im Originalzustand zu belassen und nicht durch neue Oberflächen zu verdecken. Bei einem Wohngebäude ist dies, wie man sich vorstellen kann, nicht sehr leicht gewesen, die Bauherren von solch einer Vorgehensweise zu überzeugen. Ein ständiges Umschwenken auf das Normale, hieß es ständig zu verhindern. Die Substanz der Dächer, Fenster, Heizungs- und Sanitäranlagen sowie Elektro war derart desolat, dass hier eine Kompletterneuerung unausweichlich war.
Auf eine herkömmliche Komplett-Restauration der Bausubstanz wurde grundsätzlich jedoch verzichtet. Stattdessen wurde die Originalsubstanz lediglich gereinigt und versiegelt: als lebendes Zeugnis des Originals. Das betraf beispielsweise die Außenfassaden, die Innenwände und Zimmerdecken.
Mit großer Behutsamkeit wurden so die großen und kleinen Zeugnisse vergangener Baukunst größtenteils bewahrt. So gibt es heute eigentlich kaum einen Raum, der nicht ein Stück alte Zeit preisgibt
Dort wo heutige Wohnansprüche es unbedingt erforderlich gemacht haben oder ästhetische Aspekte eine Veränderung notwendig scheinen ließen wurden moderne Elemente hinzugefügt. Gleichsam aber im Kontrast, um das bewahrte Alte eher noch zu unterstreichen. In größter Harmonie bestehen so alt und neu.
Um diesen hohen Ansprüchen gerecht zu werden, wurde das Konzept mit zwei Restauratoren diskutiert und sich für die beste Lösung entschieden. Die vorhandene Fassade wurde mit Bürsten gereinigt und mit Kalkwasser und Wasserglas verfestigt. Die Fehlstellen wurden mit Kalkputz überarbeitet und ergänzt. Im Innenraum wurden, je nach vorhandenem Zustand, die vorgefunden Wand- und Deckengemälde als Raumfassung inszeniert, durch weiße glatte Flächen kontrastiert und über indirekte Beleuchtung illuminiert.
Unser Sanierungskonzept wurde von Anfang bis Ende intensiv von Frau Mößer vom Landesamt für Denkmalpflege in Hessen und Herrn Rauch von der Unteren Denkmalschutzbehörde Gießen abgestimmt und begleitet.
Bei der Aufarbeitung der alten Bausubstanz haben wir großenteils auf alte Baumaterialien zurückgegriffen. So wurden beispielsweise Fehlstellen in der Außenfassade mit Kalk-/Sandmischungen ergänzt. Der dazu notwendige Zuschlagsstoff wurde beim abbürsten der Fassade aufgefangen, gereinigt und wiederverwendet. Notwendige Färbungen mit Erdpigmenten hergestellt. Moderne Chemie hätte die Fassade nicht vertragen und zerstört.
Im Innenbereich wurde auf Anstriche großenteils verzichtet, wenn Wände neu gemacht werden mussten, dann wurde oft lediglich gespachtelt, so sind die Wände nun sehr atmungsaktiv. Die Böden sind allesamt geschliffen, die alten Dielenböden sind so wieder zum Vorschein gekommen.
Der Energieverbrauch wurde durch bessere Fenster, isolierte Heizungsrohre auch innerhalb der Wohnungen, eine gemeinsame neue zentrale Gastherme für beide Häuser und der Dämmung der Dächer deutlich reduziert.
Für die neuen Bewohner des Hauses sollte nicht das Museale im Vordergrund stehen. Vielmehr sollte aus der nostalgischen Rückbesinnung der Fassaden aber vor allem auch der Innenräume eine sonst nicht so leicht zu findende Behaglichkeit strömen, die hier Wohnen zu einem eigenen Lebenswert macht.